Malgorzata Maria Pastian | Tanz & Körpertherapie | Hamburg | Blog
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Januar 2021 – Małgorzata Maria Pastian

TANZE WEITER

TANZE_WEITER

Einen Augenblick lang wird mein ganzer Körper von Bewegungen durchflutet. Meine Ergriffenheit lässt mich still werden. Es gibt keine Bilder, keine Gedanken, nur noch ein warmes Fließen. Mein Atem wird zu einem Begleiter, der mir Halt gibt, mein Körper wird mehr und mehr zu einem sonderbaren Kleid, einem gefäßähnlichen Gebilde, welches immer klarer mein Innerstes offenbart. Jetzt tritt das Innerste ins volle Bewusstsein und zeigt sich in seiner unvorstellbaren Größe, Lebendigkeit und einer Leuchtkraft, die in allen Farben erstrahlt. Es ist, als wenn das ‚Ewige Sein‘ für einen Moment Einzug in mein Leben nimmt und mich erfahren lässt, dass über den Tanz das Tor zu jenem Raum aufgeht, in dem nichts verloren geht, alles in steter Bewegung, Wandlung ist. Die Bewegungen lassen nach, werden leiser. Was bleibt, ist der Ruf meiner Seele, die sagt: Tanze weiter…

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In Zeiten von Abstandnehmen und zunehmender Isolation, begleitet von Ängsten unterschiedlichster Art, darf das „TANZE WEITER“ zum Thema für 2021 werden. Bei dem Wort Abstand denke ich eher an einen Raum, in dem wir die Routine des Alltags verlassen und uns für unseren Lebenstanz öffnen.

 

Vertraute Strukturen, die uns Sicherheit gegeben haben, lösen sich auf. Wir sind in einer Zwischenzeit, einen Raum, in dem sich Altes löst und Neues entstehen möchte. Im turbulenten Wandel der Zeit, wo öffentliche Diskussionen emotional aufgeladen sind, brauchen wir vor allem eines: Orte, in dem ein tiefes Durchatmen möglich ist. Menschen, bei denen wir uns aufgehoben fühlen. Räume, in denen wir fühlen können. Angst bewirkt, dass wir uns von uns entfernen. Wir brauchen die Verbindung zu unserer Intuition, die uns befähigt, unsere wahren Bedürfnisse zu verinnerlichen und ihnen zu folgen.

 

Kein Medium wirft uns so unmittelbar auf uns zurück wie das Tanzen. Mit und über den Tanz, begleitet vom Atem, der allein für sich ein Tanz ist, kommen wir mit all unseren Gefühlen in Kontakt. Die Gefühle dürfen wie Kräfte des Lebens verstanden werden, die uns nicht selten in die gegensätzlichsten Richtungen ziehen und uns zu zerreißen drohen. Der Umgang mit diesen immensen Kräften will gelernt sein. Dafür brauchen wir vor allem einen Körper, der so in der Bewegung verankert ist, dass er den enormen Energien des Lebens nicht ausweicht, sondern mit ihnen in Resonanz geht. In Resonanz gehen heißt für mich, Antworten auf die Aufgaben, auf die Herausforderungen des Lebens zu finden, Antworten, die mir das Gefühl geben, dass meine subjektive Wahrnehmung Geltung hat wie die Objektivität. Das Fühlen darf neben dem Wissen auf der gleichen Stufe stehen.

 

Bewegung ist untrennbar mit unserem sinnlichen Erleben verbunden. Unsere Sensomotorik, also das Zusammenspiel zwischen Reizaufnahme und Reizantwort in Form von Bewegung, ist die erste Ebene, mit der wir auf die Welt schauen und auf sie reagieren. Unsere Sensomotorik hängt von unserem Körper ab, der uns mit seinen Grenzen all die Erfahrungen machen lässt. Zurück zum Fühlen, dorthin, wo Öffnen und Schließen richtungsweisend für unser Leben ist. Unser Körper ist sichtbar gewordene Liebe, er ist das Licht, welches leuchten will.

 

Unser Körper als sichtbare Materie offenbart uns, was im innersten der Materie ist, nämlich nichts mehr, was an Festigkeit erinnert, sondern alles in Bewegung ist. Wenn wir eine Materie, ganz gleich welche, ob ein Stein oder ein Stück Holz, zerkleinern, und zwar so, dass am Ende nichts mehr an ihre Ursprungsform erinnert, das heißt, wenn wir die Materie bis in die kleinste Einheit aufspalten, so gelangen wir zum Schluss zu einer Qualität, die keine Struktur mehr aufweist, sondern nur Bewegung, ähnlich die einer Welle. In jedem Augenblick Bewegung, die Leben erschafft.

 

Das Leben – mit all seinen Brüchen, seinen schmerzhaften Erfahrungen genauso wie mit dem Innehalten in einem zauberhaften Augenblick – will getanzt werden, das heißt: gesehen, gehört, gefühlt und berührt werden. Im Tanz öffnen wir uns für den Dialog zwischen dem Innen- und dem Außenraum, öffnen uns für den Wandel. In dem Augenblick, wo es keine Trennung mehr zwischen Innen und Außen gibt, dort, wo alles im Wandlungsprozess ist, kann sich die Angst nicht festkrallen. Hier erwächst der Löwenmut, die volle Verantwortung für unser Leben zu übernehmen.

 

„Man verändert die Dinge nicht, indem man gegen die existierende Wirklichkeit ankämpft. Um etwas zu verändern, muss man ein neues Muster erschaffen, das das bestehende hinfällig macht.““ (R. Buchminster Fuller)

 

Leben ist Veränderung. Unentwegt, in jeder Sekunde unseres Lebens fließt es hin und her, vor und zurück, rundherum. In jeder Sekunde entsteht neues Leben. Die innere Dynamik des Körpers, seine lebendigen Prozesse: die Atmung, der Herzschlag, das Nervensystem, der Stoffwechsel … unser Körper besteht aus Abermillionen von Zellen, eine gigantische Anzahl chemische Prozesse pro Sekunde in einer Zelle! Wenn wir uns bewegen, bewegen wir jede einzelne Zelle, sie werden buchstäblich über die Bewegung zum Tanz aufgefordert.

 

Wenn wir die alten Muster verlassen, die uns in die Enge und nicht in die Weite führen, nicht in das Fühlen, sondern noch mehr in das Denken, dann öffnen wir uns für die lebendigen Prozesse des Lebens. Das Leben in alten Mustern wäre ein Leben, welches sich nicht wandelt, welches kaum atmen, sich kaum bewegen kann. Dabei sind wir das Leben selbst. Deshalb ist es wichtig zu tanzen. Vertraue darauf, dass wenn du in Bewegung bist, dir ein unermessliches Potenzial zur Verfügung steht, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Nicht nur das! Über den Tanz wirst du zu Bewegung, dem Wandel selbst. Kein Medium vermag alte, nicht mehr gültige Muster aufzulösen und neue, die in die Lebendigkeit und Licht führen zu bilden wie das Tanzen.

 

Malgorzata Maria Pastian, Januar 2021

 

Das Zitat vom R. Buchminster Fuller ist aus dem Buch von Marica Bodrozic, Pantherzeit. Vom Innenmaß der Dinge. Das Buch erscheint Ende Februar und ist sehr empfehlenswert.

Dezember 2021 – Małgorzata Maria Pastian

MÖGEST DU IN SCHÖNHEIT WANDELN

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Eine alte Geschichte erzählt von einem Rabbi, der in das Dorf kam, um auf all die Fragen zu antworten, die die Bewohner des Dorfes bewegten. Noch bevor es zu den Fragen und Antworten kam, ließ der Rabbi die Menschen tanzen. Nach dem Tanz schaute er in die Runde und fragte, wer noch eine Frage habe. Niemand meldete sich. Über den Tanz hatten die Menschen in die Antwort hineingefunden – sie fanden wieder in die Ordnung zurück …

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Dabei ist „Ordnung“ viel mehr als das, was wir hierzulande darunter verstehen. In der Wahrnehmung der nordamerikanischen Navajo ist die ganze Welt beseelt. Flüsse, Berge, die ganze Natur und alle Elemente: In allem fließt eine tiefe Kraft – die Lebensenergie. Die Menschen sind mit diesen Kräften verbunden, sie sind ein Teil von ihnen. Dem Weltbild der Navajo liegt ein Gleichgewicht zwischen Menschen und Natur zugrunde. Es bestimmt auch ihr Heilsystem: „Hózhó“ ist ein zentraler Begriff, der in vielen rituellen Handlungen und als Segen ausgesprochen wird. Hózhó meint Ordnung, Harmonie, Kohärenz, das Gefühl von Zusammengehörigkeit und vollkommener Schönheit. In unsere Sprache ließe es sich übertragen: „Mögest du in Schönheit wandeln.

 

Immer wieder darf ich Zeugin dieser kostbaren Momente sein, wenn wir in der Gruppe zusammenkommen, uns von unseren innersten Bewegungen, unseren Sorgen und Nöten erzählen und hinterher in den Tanz gehen. Leben ist Bewegung. Innerhalb weniger Minuten wird im ganzen Raum spürbar, dass der Tanz auszudrücken vermag, wofür es keine Sprache gibt und worüber zu schweigen doch unmöglich ist. Ist Tanz nicht eigentlich eine der ältesten Sprache, die der Mensch kennt?. Schon immer haben Menschen getanzt, noch bevor es all die psychologischen Konzepte gab, die alles in Einzelteile zerlegen. Und die letztlich den Menschen aus der großen Verbundenheit mit allem heraustrennen.

 

Einige Tänzerinnen im Raum sind tief ergriffen, ihre Bewegungen scheinen mit etwas zu ringen, was ich von außen nur schwer erahnen kann. Andere wiederum bewegen sich fließend wie Wasser, das unbeirrt seinen Weg ins Meer findet. Die Bewegungen einer Tänzerin werden immer heftiger und drohen auszubrechen wie ein Vulkan. Wieder eine andere tanzt im Liegen, sie bewegt sich schlängelnd, die Erde unter ihrem Körper scheint ihren Bewegungen zu antworten, und dann gibt es eine Tänzerin, die mit ihren Bewegungen weniger sich ausdrückt, als etwas einzufangen scheint, etwas, was im Raum bereits da ist.

 

Unmerklich hat sich der ganze Raum in einen Tanzplatz verwandelt. Aus Bewegungen entstehen enge Beziehungen, die jetzt alles Unwichtige von sich werfen wie abgetragene Kleider, die längst nicht mehr passen. Grenzen werden wahrnehmbar, die keinerlei Begrenzung mehr sind, sondern einen Halt geben. Entlang dieser Grenzen eröffnet sich auf einmal eine große Vielfalt an Bewegungen, die kein Ende kennt, mehr und mehr gehen die Bewegungen in die Freiheit. In dieser Unendlichkeit verschmelzen Raum und Zeit und der tanzende Körper wird zum Tanz selbst. Längst sind es nicht mehr wir, die tanzen, sondern es tanzt uns. Es sind nicht wir, die die Hand nach dem Leben ausstrecken, es ist das Leben selbst, das uns seine Hand reicht.

 

Im turbulenten Wandel der Zeit, wo Diskussionen emotional aufgeladen sind und kein konstruktiver Dialog möglich ist, brauchen wir Räume, in denen wir uns primär bewegen, statt uns über die Sprache auszudrücken. Denn auf dieser Ebene geraten wir schnell in Positionen, wo wir uns nicht mehr sicher fühlen und das Vertrauen in uns selbst und die anderen verlieren. Dieses Vertrauen aber, das Wissen, bedingungslos angenommen zu sein, als Menschen, die wir sind, mit unserem Denken und Fühlen und unserer Haltung – dieses Vertrauen ist die Voraussetzung für ein gelingendes Gespräch. Räume einer nonverbalen Kommunikation öffnen uns Tore für ganzheitliche Sichtweisen.

 

Die Sprache des Tanzes zu bewahren, sie nicht zu verlieren in Kämpfen und Machtstreben ist eine dringende Aufgabe. Es geht darum, Spaltungen zu überwinden und das Leben, seine Lebendigkeit zu wahren. Das Tanzen ist eine absolute innere Notwendigkeit, um uns mit dem Göttlichen in uns zu verbinden. Wir brauchen den Tanz. Wenn wir tanzen, kehren wir heim. Zurück zur Ordnung und Schönheit, in denen ein tiefes Bekenntnis zur eigenen Schöpfungskraft liegt. Sie ist es, die uns fühlen lässt, dass unsere größte Angst nicht die vor dem Sterben ist, sondern die vor dem Leben.

Hózhó – Mögest du in Schönheit wandeln.

 

Malgorzata Maria Pastian, Dezember 2021

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