… einen Augenblick lang wird mein ganzer Körper von Bewegungen durchflutet. Meine Ergriffenheit lässt mich still werden. Es gibt keine Bilder, keine Gedanken, nur noch ein warmes Fließen. Mein Atem wird zu einem Begleiter, der mir Halt gibt, mein Körper wird mehr und mehr zu einem sonderbaren Kleid, einem gefäßähnlichen Gebilde, welches immer klarer mein Innerstes offenbart. Jetzt tritt das Innerste ins volle Bewusstsein und zeigt sich in seiner unvorstellbaren Größe, Lebendigkeit und einer Leuchtkraft, die in allen Farben erstrahlt. Es ist, als wenn das ‚Ewige Sein‘ für einen Moment Einzug in mein Leben nimmt und mich erfahren lässt, dass über den Tanz das Tor zu jenem Raum aufgeht, in dem nichts verloren geht, alles in steter Bewegung, Wandlung ist…
Vertraute Strukturen, die uns Sicherheit gegeben haben, lösen sich langsam auf. Wir sind in einer Zwischenzeit, einen Raum, in dem sich Altes löst und Neues entstehen möchte. Im turbulenten Wandel der Zeit, wo öffentliche Diskussionen emotional aufgeladen sind, brauchen wir vor allem eines: Orte, in dem ein tiefes Durchatmen möglich ist. Menschen, bei denen wir uns aufgehoben fühlen. Räume, in denen wir fühlen können. Angst bewirkt, dass wir uns von uns entfernen. Wir brauchen die Verbindung zu unserer Intuition, die uns befähigt, unsere wahren Bedürfnisse zu verinnerlichen und ihnen zu folgen.
Kein Medium wirft uns so unmittelbar auf uns zurück wie das Tanzen. Mit und über den Tanz, begleitet vom Atem, der allein für sich ein Tanz ist, kommen wir mit all unseren Gefühlen in Kontakt. Die Gefühle dürfen wie Kräfte des Lebens verstanden werden, die uns nicht selten in die gegensätzlichsten Richtungen ziehen und uns zu zerreißen drohen. Der Umgang mit diesen immensen Kräften will gelernt sein. Dafür brauchen wir vor allem einen Körper, der so in der Bewegung verankert ist, dass er den enormen Energien des Lebens nicht ausweicht, sondern mit ihnen in Resonanz geht. In Resonanz gehen heißt für mich, Antworten auf die Aufgaben, auf die Herausforderungen des Lebens zu finden, Antworten, die mir das Gefühl geben, dass meine subjektive Wahrnehmung Geltung hat wie die Objektivität. Das Fühlen darf neben dem Wissen auf der gleichen Stufe stehen.
Bewegung ist untrennbar mit unserem sinnlichen Erleben verbunden. Unsere Sensomotorik, also das Zusammenspiel zwischen Reizaufnahme und Reizantwort in Form von Bewegung, ist die erste Ebene, mit der wir auf die Welt schauen und auf sie reagieren. Unsere Sensomotorik hängt von unserem Körper ab, der uns mit seinen Grenzen all die Erfahrungen machen lässt. Zurück zum Fühlen, dorthin, wo Öffnen und Schließen richtungsweisend für unser Leben ist. Unser Körper ist sichtbar gewordene Liebe, er ist das Licht, welches leuchten will.
Unser Körper als sichtbare Materie offenbart uns, was im innersten der Materie ist, nämlich nichts mehr, was an Festigkeit erinnert, sondern alles in Bewegung ist. Wenn wir eine Materie, ganz gleich welche, ob ein Stein oder ein Stück Holz, zerkleinern, und zwar so, dass am Ende nichts mehr an ihre Ursprungsform erinnert, das heißt, wenn wir die Materie bis in die kleinste Einheit aufspalten, so gelangen wir zum Schluss zu einer Qualität, die keine Struktur mehr aufweist, sondern nur Bewegung, ähnlich die einer Welle. In jedem Augenblick Bewegung, die Leben erschafft.
Das Leben – mit all seinen Brüchen, seinen schmerzhaften Erfahrungen genauso wie mit dem Innehalten in einem zauberhaften Augenblick – will getanzt werden, das heißt: gesehen, gehört, gefühlt und berührt werden. Im Tanz öffnen wir uns für den Dialog zwischen dem Innen- und dem Außenraum, öffnen uns für den Wandel. In dem Augenblick, wo es keine Trennung mehr zwischen Innen und Außen gibt, dort, wo alles im Wandlungsprozess ist, kann sich die Angst nicht festkrallen. Hier erwächst der Löwenmut, die volle Verantwortung für unser Leben zu übernehmen.
„Man verändert die Dinge nicht, indem man gegen die existierende Wirklichkeit ankämpft. Um etwas zu verändern, muss man ein neues Muster erschaffen, das das bestehende hinfällig macht.“ (R. Buchminster Fuller. Das Zitat ist aus dem Buch von Marica Bodrozic, Pantherzeit. Vom Innenmaß der Dinge).
Leben ist Veränderung. Unentwegt, in jeder Sekunde unseres Lebens fließt es hin und her, vor und zurück, rundherum. In jeder Sekunde entsteht neues Leben. Die innere Dynamik des Körpers, seine lebendigen Prozesse: die Atmung, der Herzschlag, das Nervensystem, der Stoffwechsel … unser Körper besteht aus Abermillionen von Zellen, eine gigantische Anzahl chemische Prozesse pro Sekunde in einer Zelle! Wenn wir uns bewegen, bewegen wir jede einzelne Zelle, sie werden buchstäblich über die Bewegung zum Tanz aufgefordert.
Wenn wir die alten Muster verlassen, die uns in die Enge und nicht in die Weite führen, nicht in das Fühlen, sondern noch mehr in das Denken, dann öffnen wir uns für die lebendigen Prozesse des Lebens. Das Leben in alten Mustern wäre ein Leben, welches sich nicht wandelt, welches kaum atmen, sich kaum bewegen kann. Dabei sind wir das Leben selbst. Deshalb ist es wichtig zu tanzen. Vertraue darauf, dass wenn du in Bewegung bist, dir ein unermessliches Potenzial zur Verfügung steht, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Nicht nur das! Über den Tanz wirst du zu Bewegung, dem Wandel selbst. Kein Medium vermag alte, nicht mehr gültige Muster aufzulösen und neue, die in die Lebendigkeit und Licht führen zu bilden wie das Tanzen.
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